Ich habe mir ein neues, wenn gleich sehr selten stattfindendes, Sonntagmorgen Ritual ausgedacht. Die Flöte und ich gehen nach dem Aufstehen, nach den Yogaübungen und der Meditation und noch vor dem Frühstück circa eine halbe Stunde Fußmarsch zur einsamen Eiche. Sie wird auch Hexenbaum genannt. (Die kryptischen Zahlen im Titel sind die Längen und Breitengrade des Baumes. Ich wurde danach gefragt!) Es macht nichts, wenn es etwas kälter ist, Handschuhe versehen ihren Dienst. Hauptsache, die Sonne scheint.
Bitte, liebe Leserin und lieber Leser, achtet auf den krassen Schattenwurf meiner Flöte.
Selten deshalb, weil ich jedes zweite Wochenende arbeite. Ohne Dienst aber gelegentlich nicht zuhause nächtige, und dann muß am Ende das Wetter noch passen. Regen geht halt mit der Flöte gar nicht. Obwohl ich vor kurzem von einer Flöte gelesen habe die aus Plastik ist und Neoprenpolster hat. Der Klang wäre gar nicht so schlecht und damit wäre man wetterunabhängig.
Nach dem Üben wandere ich sehr sehr glücklich nach Hause. Es gibt anschließend ein sehr ausgedehntes Frühstück mit Zeitungslektüre, das fast bis in den frühen Nachmittag hinein dauert.
Ich lerne das „D“. Dieser Ton fällt mir ziemlich schwer. Der kleine rechten Finger soll sich lösen, der bisher immer auf der Dis-Klappe lag. Und gleichzeitig der linke Zeigefinger der auf der H-Klappe liegt. Das geht nicht automatisch, muß immer einen extra Gedanken von oben zu den Fingern schicken, damit sie sich loslösen.
Die Wechsel von C auf D, oder von H auf D ist schwierig. Das ist wie Gehirnjogging. Vorwärts geht es manchmal. Noch schwieriger ist es, die Töne rückwärts zu spielen. Aber geduldiges Üben wird hoffentlich irgendwann zum Ziel führen.
Habe zuerst gedacht, die Töne in der oberen Etage wären anders als unten. Wenn ich vom „G“ nach oben spiele, überblase ich automatisch die Töne. Fange ich aber oben an, sind sie auf der unteren Oktave. Nun ja, es wird dringend Zeit, mal wieder eine Unterrichtstunde zu nehmen..
Der dritte Lockdown dauert nun schon eine ganze Weile.
Ich brauche noch einen Flötenständer für das Instrument. Es wäre besser sie während einer Pause stehend abzulegen, damit die Kondensflüssigkeit aus dem Inneren der Flöte ablaufen kann. Die Klappen kleben manchmal oder schmatzen beim Üben. Das nervt mich. Das Zigarettenpapier und das Puderpapier versuche ich nicht zu oft zu verwenden. Ich weiß nicht ob es mit der Zeit schädlich für die Polster der Flöte wird.
Ich erarbeite mir weitere Stücke aus den drei Notenschulen. Es geht im Zeitlupentempo, aber ich habe keine Eile. Versuche die neuen Stücke aus einer gewissen Langweile heraus und wegen Überdruß der bisher gespielten auszuprobieren. Am nächsten Tag wieder, und am übernachsten wieder. Jeden neuen Tag an dem ich ein bisschen Zeit finde zu üben. Wenn sie unklar sind, probiere ich sie am Klavier aus. Das klappt oft ganz gut, da habe ich doch einen Wissensvorsprung und das hilft mir etwas.
Eine Freundin von mir outet sich. Sie hat früher auch Querflöte gespielt. Wir wollen einmal zusammenspielen. Am besten draußen. In meinen Schulen gibt es häufig eine zweite Stimme. Ich würde die einfache erste spielen und sie übernimmt die zweite. Das belebt mich und ich freue mich über diese Aussicht.
Die Bibliotheken haben wieder geöffnet. Ich leihe mir ein Buch von James Galway über die Flöte aus und eines von Raymond Meylan.
Er schreibt etwas sehr schönes: „Die eigentliche Bedeutung des Wortes Flöte ist zunächst ganz einfach Hauch. Menschlicher Atem, noch bar allen Gesanges, noch blaß wie Wasser, würzelos und ohne Duft. Doch weist das Wort flöten auch noch über sich selbst hinaus auf einen Klang, der sich vom Wehen des Atems deutlich unterscheidet. Auf eine Tonwesenheit von poetischer Fülle, die über der Flöte schwebt wie ein Gedanke aus höherer Ordnung.“